Sonntag, 7. Februar 2016

Familienlandsitzsiedlungen in Russland – ein Lichtblick für die Menschheit? (Teil 1)



Als ich 2011 die Anastasíabücher von Wladimir Megré las, hat sich mir hinsichtlich Russland und dem dortigen Geschehen eine neue Sicht eröffnet. Vor dem Lesen dieser Buchserie war mein Interesse an Russland gleich Null. Doch die von Anastasía offenbarten historischen und visionären Erzählungen über dieses Land und diese Menschen sowie die durch die Bücher inspirierte Familienlandsitzbewegung, haben mein Interesse an Russland geweckt. Ich habe dann Anfang 2015 den russischen Dokumentarfilm über die Familienlandsitzsiedlung „Slavnoje“* auf deutsch herausgebracht und daher kam auch der Online-Kontakt nach Russland mit dem Regisseur des Films, Andrey Shadrov. Er lebt selber mit seiner Familie auf seinem Land in der Siedlung „Slavnoje“ und so fragte ich ihn, ob ich ihn in Russland für ein paar Tage besuchen könnte. Andrey war einverstanden. So kam es, dass ich im August 2015 eine vierwöchige Russlandreise unternahm. Ich bereitete mich auf die Reise etwas vor, indem ich mir Grundkenntnisse der russischen Sprache aneignete und Russisch lesen lernte. Vor allem die Worte „vegetarisch“ und „vegan“ waren mir wichtig zu lernen, hatte ich doch befürchtet, dass ich in Russland als Veganer vielleicht manchmal nicht ausreichend zu Essen hatte. Diese Befürchtung stellte sich glücklicherweise schnell als Illusion heraus, denn als Andrey und sein Bruder Eugen mich vom Flughafen abholten und Eugen mir im Auto dann sagte, dass er Rohköstler sei und es in Russland eine wachsende Anzahl an Menschen gibt, die sich vegetarisch, vegan oder rohköstlich ernähren, da fühlte ich eine angenehme Erleichterung.
In der Siedlung „Slavnoje“ 
Auf dem Weg nach Slavnoje erzählte mir Eugen, dass er einige Tage bei uns bleiben würde, ehe er zu seinen Eltern heimfährt, die eine halbe Stunde von Slavnoje entfernt wohnen. Ich fragte ihn nach Vladimir Putin und er sagte, dass die meisten Russen ihn gut finden. Bevor Putin Präsident wurde, betrug die durchschnittliche Lebenserwartung in Russland 60 Jahre und die Sterberate war höher als die Geburtenrate. Mittlerweile stieg die Lebenserwartung auf 70 Jahre und die Geburtenrate ist höher als die Sterberate. Die Verbrechens und Korruptionsrate seien signifikant gesunken, der Lebensstandard wurde höher und das russische Volk habe dank Putin seine Liebe für Russland wieder entdeckt, meinte er zu mir. Auch die Menschen in der Familienlandsitzbewegung mögen Putin in der Regel, denn er unterstützt die Idee von
Familienlandsitzen. In Slavnoje angekommen mussten wir durch die ganze
Siedlung fahren, denn Andrey lebt an deren anderem Ende. Ich wurde wärmstens willkommen geheißen von Tatjana, Andreys Frau. Nach einem schönen Abendessen mit Erdäpfeln
und Gemüse vom Familienlandsitz, ging ich bald zu Bett, um von meiner langen Reise von Taiwan nach Slavnoje auszuruhen. Am nächsten Morgen gab es zum Frühstück Früchte und
Wassermelonen, gefolgt von einem köstlichen grünen Smoothie mit energiereichen Grünpflanzen aus dem Garten. Nach dem Frühstück gingen wir in den Wald. Ich traute fast
meinen Augen nicht, wie viele Pfifferlinge es dort gab. Nach kurzer Zeit war der Korb gefüllt. Zu Hause bereitete Tatjana köstliche Mahlzeiten mit den Pilzen zu und trocknete den
Rest der Pilze als Vorrat für den Winter.
 
Am Nachmittag durfte ich dann die russische Sauna auf Andreys Landsitz genießen. Für mich war der Gedanke zuerst ungewohnt, im Sommer bei angenehmen Badetemperaturen
in die Sauna zu gehen, doch in Russland würde man ganzjährig in die Sauna gehen, meinte Andrey. In Slavnoje haben 150 Familien einen Landsitz, wobei ein Großteil der Familien nur saisonell in Slavnoje lebt. Viele arbeiten und leben noch in den Städten und kommen auf ihre Landsitze, um sich zu erholen. Die erste Woche in Russland verbrachte ich also in der Siedlung „Slavnoje“ bei Andrey und seiner Frau Tatjana, sowie deren Sohn Luchic auf ihrem
Familienlandsitz. Ich konnte kein Russisch, außer ein paar Sätzen und auch sie sprachen nur ein paar Wörter Englisch und Deutsch. Dennoch gelang uns eine simple Kommunikation,
vor allem auf der Herzensebene verstanden wir uns sehr gut. Für komplizierte Konversation verwendeten Andrey und ich des öfteren ein Übersetzungsprogramm am Computer
(google oder yandex Übersetzer), was eine große Hilfe darstellte und gut funktionierte. Ich wohnte mit ihnen im selbstgebauten Holzhaus und hatte mein eigenes Zimmer. So
durfte ich einen Einblick in ihr harmonisches Familienleben bekommen.

Homeschooling, Entscheidungsfindung und steigende Selbstversorgung
Der dreijährige Luchic war für mich ein besonderer Junge. In der Woche meines Besuches habe ich ihn kein einziges Mal weinen gesehen. Obwohl er mehrmals beim Laufen im
Wald oder auf der Schotterpiste gestolpert war und ein paar Mal davon ziemlich heftig, war ihm nicht zu weinen zumute. Alles, was Andrey und Onkel Eugen zu ihm sagten, geschah
auf gelassene, aber bestimmte Art. ‚Sie wissen wirklich, wie man ein Kind großzieht‘, dachte ich mir. Auch hab ich mich nie von ihm gestört gefühlt, so wie ich das bei vielen Kindern erlebt hatte, denn er wusste sich immer mit sich selber zu beschäftigen und unser Kontakt
basierte auf respektvoller Freiwilligkeit. Dieses Kind war für mich ein Engel. Liegt vielleicht der Grund seines harmonischen Wesens darin begründet, dass er auf dem eigenen Land, im von Andrey und Tatjana selbstgebauten Haus, in Liebe gezeugt wurde? Oder daran, dass Tatjana die Schwangerschaft auf dem Landsitz verbrachte und Luchic im selben Haus geboren wurde und jetzt dort aufwächst, umgeben von verschiedenen Pflanzen, Blumen und Bäumen, welche die Eltern für ihn gepflanzt haben und die für ihn und die Familie echte Lebensmittel liefern? Das sind vielleicht ein paar der Gründe, die erklären können, warum Luchic so harmonisch
ist. Und wahrscheinlich ist es auch der natürliche, weise und klare Umgang, sowie die harmonische und liebevolle Partnerschaft der Eltern. Darüber hinaus wirkt das Leben in der
Familienlandsitzsiedlung sicherlich auch unterstützend für seine Entwicklung. Nicht zu vergessen die wunderschönen Lieder mit wahrhaft guten Texten, welche sie fast täglich
mit oder vor Luchic singen, begleitet von Andreys Gitarre und Tatjanas Flöte. In eine Schule außerhalb von Slavnoje wird Luchic nicht gehen müssen, da die Siedlungsbewohner ihre eigene nicht-staatliche Schule gegründet haben, wo Eltern gemeinsam die Schüler unterrichten. Einmal im Jahr müssen die Schüler an einer staatlichen Schule eine Prüfung
ablegen. Diese Art des Heimunterrichts (Homeschooling) kann man in Russland bis zum Antritt der Hochschule praktizieren. Übrigens treffen die SiedlerInnen strategische Entscheidungen
für die Siedlung auf einem allgemeinen Treffen mit Hilfe einer Mehrheitsabstimmung (75%). Zusätzlich haben sie einige andere Siedlungen, die sie beraten und einen Vorsitzenden in der Siedlung, der von den BewohnerInnen gewählt wird.
Einmal zeigte Tatjana mir einige Fotoalben. Ich konnte die Veränderung sehen, die ihr Land durchgemacht hatte. Von einem früheren kargen Feld haben sie es in eine lebendige Oase verwandelt mit vielen Bäumen, einem schönen Holzhaus und verschiedenen kleineren Gebäuden, einem Brunnen und Gärten. Mehr und mehr Menschen können ihr Einkommen durch eine Tätigkeit auf ihrem Landsitz oder in der Siedlung erzielen. Außerdem steige die Selbstversorgung. Die Selbstversorgung mit Wasser aus eigenen Brunnen liegt bei 100 Prozent, die Selbstversorgung an Lebensmitteln liegt im Durchschnitt laut Andrey bei etwa 50 Prozent. 











Illegale Zuhause
Eines Tages unternahm Andrey, mit seinen zwei Söhnen und mir eine Tour durch Slavnoje. Wir
besuchten einige Leute, die im Film Slavnoje vorkamen und ich machte Fotos. Wir gingen auch
zum See von Slavnoje, einem zwei Hektar großen Natur-See, angelegt von Sepp Holzer und gesponsert zum Wohl für die ganze Siedlung von einem Geschäftsmann, der auf einem Landsitz neben dem See wohnt. In diesem See zu schwimmen war ein Vergnügen.

Mich beeindruckte, dass wirklich jedes Haus einzigartig und individuell ist. Es gibt keine zwei Häuser, die ähnlich aussehen. Dies aufgrund der Tatsache, dass die Leute ihre Häuser selber so entwerfen und bauen wie sie denken, dass es am besten für sie passt.
Alle Häuser in Slavnoje wurden illegal errichtet, was bedeutet, dass sie keine offizielle Adresse
haben und die Bewohner offiziell woanders leben. Aber in Russland kümmert sich niemand allzu sehr um solche Sachen. Trotzdem hoffen sie, dass ein künftiges Gesetz es ihnen einfach machen wird, alles zu legalisieren. Sie könnten es auch jetzt schon legalisieren, doch im Moment würde ihnen eine Legalisierung fast keine Vorteile bringen, sondern
nur Nachteile, wie höhere Zahlungen etc. 

Die Siedlung „Lebendes Bild“
An einem Tag waren wir in der Nachbarsiedlung „Lebendes Bild“. Dort hatte ein Mitgründer der Siedlung zu seinem 67. Geburtstag eingeladen. Es war ein großes Geburtstagsfest auf einer gemähten Wiese
neben einem großen Bach und es kamen geschätzt 150 Gäste. Es gab ein großes vegetarisch/veganes Buffet und die zahlreichen Kinder und Erwachsenen erfreuten sich an den verschiedenen Speisen. Auf der Bühne gab es musikalische und tänzerische Darbietungen und auch Andrey und Tatjana, die übrigens professionelle Musiker sind, traten mit ihren beflügelnden Liedern auf.
Auf diesem Geburtstagsfest lernte ich Rita und andere Menschen aus der „Lebendes Bild“-Siedlung kennen. Einige davon sprachen, so wie Rita, sehr gut Englisch und wir hatten schöne Gespräche miteinander. Es kam dazu, dass Rita mich für den kommenden Sonntag zu sich und ihrem Mann Iwan auf ihren Familienlandsitz einlud. Dieser Einladung folgte ich sehr gerne, zumal ich dadurch auch die Nachbarsiedlung sehen und besser kennenlernen würde.

Zu Gast bei Rita und Iwan
Am Sonntag wurde ich dann von Iwan mit dem Auto abgeholt. Wir fuhren über die Schotterpiste, die durch Slavnoje führt, zur Siedlung „Lebendes Bild“ und mussten dabei auch einen Fluss und eine Steigung durchqueren, die ohne Allradantrieb wahrscheinlich bei
Regenwetter nicht zu bewältigen wäre. Auf dem Familienlandsitz von Rita und Iwan angekommen war ich erst mal über ihr schönes, selbstgebautes Öko-Haus und die schöne Lage ihres Landes erstaunt.
Die beiden sind aus Moskau, um die 30 Jahre alt, ethisch motivierte Veganer und leben seit 3 Jahren auf ihrem Landsitz. In so kurzer Zeit haben sie schon soviel geschafft. Ich war sehr beeindruckt von dem, was sie taten. Sie haben das erste Strohballenhaus in ihrer Siedlung gebaut und haben schon erstaunliche Erfolge im Garten sowie mit natürlicher, friedvoller Bienenhaltung erzielt. Rita und ihre befreundete Nachbarin Svetlana begrüßten mich und Iwan entschuldigte sich, dass er schon wieder weg musste, denn sein Nachbar brauchte ihn beim Hausbau auf dem Dach... ja, auch am Sonntag wird in den Siedlungen also gebaut. Wir vereinbarten, dass wir ihn später bei seinem Nachbarn
einen Besuch abstatten würden. Nachdem Iwan losgezogen war zeigte mir Rita das Haus und ihr Land. Ihre Nachbarin Svetlana begleitete uns mit ihrem etwa halbjährigen Baby im Tragesack. 

Es wirkte hell und geordnet, ein Raum der Liebe war bereits erkenn und
fühlbar. Rita zeigte mir einen Apfelbaum, der zuvor ein wilder Apfelbaum war, mit Stacheln und ungenießbaren Früchten, und jetzt zu einem „guten“ Apfelbaum mutiert ist, mit gänzlich anderen Blättern, keinen Stacheln mehr und inzwischen mit genießbaren Früchten, die von Jahr zu Jahr besser schmecken. Das hat sie durch regelmäßige Kommunikation mit dem Baum erreicht, erklärte sie mir. Echt erstaunlich, was alles möglich ist! Das gemeinsame Schöpfen mit
der Natur birgt so viel Potenzial und es gibt noch vieles zu entdecken! 
Nach dem Rundgang auf dem Land zeigte sie mir ihr Haus und erzählte mir vom Prozess des Bauens. Sie haben das meiste zu zweit gebaut, aber auch die Nachbarn haben immer wieder mal eine helfende Hand gegeben. Das Innere des Hauses hatte eine behagliche und
wohlige Atmosphäre. Die Strohballen wurden mit Lehm verputzt und dann wurde den Wänden mit Hilfe von Kalkputz eine schöne weiße Farbe verliehen. In der Küche wurde mir zur Stärkung selbst gebackenes, hefefreies Brot gegeben, mit einem Aufstrich aus eigenem Honig und Leinsamenpaste (auf Russisch „Urbetsch“ genannt).

Das schmeckte mir so dermaßen gut, wie ich es bis dato nicht kannte. Unglaublich, dass wir das nicht bei uns haben, dachte ich mir. In keinem Bioladen hatte ich Leinsamenmus gesehen. Wahrscheinlich schmeckt es pur nicht so gut, aber die Kombination mit dem natürlich und friedvoll erzeugten Honig vom Landsitz war ein Hochgenuss. Dann kam Jenya zu Besuch und lud uns zu sich und seiner Frau Anja auf den Landsitz ein.

Zuvor machten wir einen Spaziergang durch die Siedlung und wir besuchten Iwan, der, wie gesagt, dem Nachbarn beim Hausbau half. Ich war schon erstaunt, welch großes Haus sich da dieser Nachbar hinstellte.

Ganz anders war dann das Haus von Jenya, ein kleines, zweistöckiges Holzhaus. Selbstverständlich hatte auch er das Haus selbst gebaut und sein Kind wurde dort zur Welt gebracht. Auch hier war die Energie im Haus gut, es war hell und sauber.

Berufe – so vielseitig wie das Leben
Da auch Jenya Filmemacher ist, führten wir Gespräche über unsere berufliche Tätigkeit. Er selbst hat mit Anja eine Filmfirma in England und hat weite Teile Asiens bereist und Dokumentationen darüber gemacht. Auch hat er einen erfolgreichen Webshop, wo er verschiedene Naturprodukte anbietet. Beruflich gesehen habe ich Menschen aller Richtungen in den Siedlungen kennengelernt. Vom Arzt, Filmemacher, Künstler, Musiker und Handwerker,
bis hin zum Bergbauingenieur, Baumschulinhaber, Imker, Online-Shop-Besitzer oder Selbstversorger war alles dabei. Als wir zurück auf Ritas Landsitz waren, gingen wir in den
Birkenwald, wo ich ein schönes Interview mit Rita aufnahm. Sie erzählte mir von ihrem Werdegang, von ihrem Weg zum eigenen Familienlandsitz, vom Hausbau und vielem Interessantem mehr. Das daraus entstandene Interview enthält wertvolle Perlen der Erfahrung und Erkenntnis von Rita und gibt es hier.
Herzliche Verabschiedung
Am letzten Morgen gab es beim Frühstück für mich ein letztes Privatkonzert von Andrey und Tatjana, welches mich natürlich sehr erfreute. Dann fuhren Andrey und Elisey mich nach Moskau. In Moskau brachten Andrey, Elisey und Andreys Mutter mich zum Bahnhof, warteten mit mir auf den Zug und dann gab es einen herzlichen Abschied mitsamt Umarmungen. Ich
reiste ab in Richtung dem Ökodorf Kovcheg. Die Zugfahrt dorthin würde zwei Stunden dauern.
Fortsetzung folgt...
Geschrieben von Stefan Wolf

*Den Trailer und den Film Slavnoje gibt es auf slavnoje.com
oder auf loveproductions.org

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